Review: The Libertines live in London und Berlin

The Libertines
Vorab: Let’s get straight to the heart of the matter…

The Libertines stehen seit Jahren nicht nur für Skandale, Drogen-Exzesse und sonstige illustre Ausschweifungen, sondern auch einfach mal nach wie vor für verdammt gute pure, raue, die Seele vereinnahmende Gitarren-Musik. Wohl kaum eine Band hat mich Anfang der Nuller Jahre, seit der Mainstream-Auflage des Indie-Rock so gepackt wie die Band um Pete Doherty und Carl Barât. Sicher auch gerade wegen der rüpelhaft-rotzigen Attitude ihrer beiden Hauptprotagonisten. Und der Songtexte wegen, die den Anfang 2000er Zeitgeist auf den Punkt gebracht und die Gedankenwelt meines 20-Jährigen Ichs ziemlich gut eingefangen haben. Da waren sie nun, diese temporeichen, schrammeligen Tracks wie „What a Waster“ und „Can’t stand me now“, die in meinem Autoradio in der Dauerschleife liefen. Da war dieser Pete Doherty, der eigentlich bis heute aussieht wie ein englischer, ständig zersauselter Lausbube, der nur Flausen im Kopf hat. Die Libertines waren jung, verrückt, wild, experimentierfreudig und kopflos. Ein wenig sind sie das wohl auch heute, 11 Jahre nach dem Erscheinen des zweiten, selbstbetitelten Albums, noch. Ein Glück für die heutige ansonsten doch eher hochpolierte Pop-Kultur. Und Glück für mich die wiedervereinigte Band in der Londoner O2 Arena und in der Berliner Columbiahalle nach all den Jahren endlich live erleben zu können.

O2 Arena London

Ihre ausgedehnte UK-Tour sollte für The Libertines in der Londoner O2 Arena den krönenden Abschluss bilden. Da bleiben hochkarätige Supports natürlich nicht aus. The Enemy überzeugen dann auch direkt mit solidem Alternative Rock. Hätte man mehr von sehen wollen. Von den Sleaford Mods hätte ich, ich schreib’s mal ganz ehrlich, persönlich jetzt nicht direkt eine volle halbe Stunde sehen müssen. Hämmernde Bässe treffen auf hasserfülltes Geschrei und jede Menge Dialekt behaftetes „Fock“, „Focker“, „Focking“ und „Fock off“. Somebody seemed to have issues there. Gut, wer’s mag.

Nach dem – für meine Ohren deutlich erholsamem – Abgang der beiden Jungs folgt dann noch „Ketamine“- Guy, der sich später als der Tourpoet der Libertines herausstellen wird. Zu diesem Zeitpunkt denken wir noch er sei Roadie, der beim Mikro-Test in der O2 Arena endlich seine Chance gekommen sah vor einem großen Publikum seine Dichtkunst kundzutun. „Ketamine, Ketamine“ mündet irgendwann in „Libertines, Libertines“ und kurz darauf erscheint auf dem riesigen Bühnen-Bildschirm der Libertines-Schriftzug auf dem Union Jack und dann ist sie endlich da, die Band der Stunde und legt mit dem Album Opener „Barbarians“ los.

Die Halle tobt und die Bierbecher fliegen en Masse in alle Richtungen. Sie sind also tatsächlich zurück und versetzen die Fan-Meute in Ekstase, so als wären sie nie weg gewesen. Und es ist natürlich auch ein wenig anrührend Carl und Pete wieder vereint am Mikro zu sehen, wie zwei Liebende, die einander brauchen, wenn es um ihre Band geht. Der eine verkörpert den Abgrund und der andere die Bodenhaftung. „Gunga Din“ folgt auf „Fame and Fortune“. Erster Gänsehautmoment des Abends: die Ballade „You’re my Waterloo“. Carl sitzt am Klavier, Pete singt gefühlvoll „You’ll never fumigate the demons. No matter how much you smoke“. Ein Menschenmengen-Chor begleitet ihn. Es folgen Klassiker wie „What Katie did“ oder „The Man who would be king“. Drummer Gary Powell gibt alles, die Halle tobt um bei „Can’t stand me now“ dann völlig auszurasten. Große, starke Männer, die sich vorher nicht kannten, liegen sich in den Armen und wiegen sich gemeinsam zu „Up the Bracket“ und „What a Waster“. Sie feiern die Auferstehung der lebenden Toten. Und auch wenn Pete den ein oder anderen Text vernuschelt und hier und da mal Einsätze versemmelt werden, bleibt am Ende ein beschwingtes, mitreißendes und außerordentlich großartiges Konzert-Erlebnis zurück, das zeigt: The Libertines sind wirklich wieder da und haben nichts von ihrem punkig-rotzigen Charme verloren.

Columbiahalle, Berlin

Die Berliner Columbiahalle ist natürlich ein kleiner und intimerer Gegensatz zur großen Londoner O2 Arena. Auch hier sind publikumstechnisch alle Nationen vertreten. Und während die einen beim Betreten der Location noch überlegen, ob The Libertines denn heutzutage eigentlich pünktlich auftreten und ich mich gerade nach dem ersten Bier umsehen will, marschieren Carl, Pete, Gary und John dann auch schon mal auf die Bühne und sind einfach mal ihre eigene Vorband. Ohne großes Brimborium spielen Pete und Carl den Babyshambles-Song „Albion“ und „7 Deadly Sins“ vom neuen Album. Bassist Hassall und Schlagzeuger Powell stehen dazu etwas unschlüssig wirkend mit Schellenring am Rand und überlassen den anderen beiden die Bühne. Dann verlässt das Quartett auch schon wieder die Bühne, während uns Pete noch ein „Have fun with The Libertines“ zuruft. Sehr schöne Einlage.

Es folgen die aus Sheffield stammenden Indie-Rocker Reverend and the Makers, deren Frontmann Jon McClure trotz des dicken Parkas, den er trägt, die Stimmung noch mehr anheizt. Kurz darauf betreten die Libertines dann zum zweiten Mal an diesem Abend die Bühne und rocken als spielten sie ständig um ihr Leben. Sie posieren mit ihren E-Gitarren und versprühen eine ungeheure Energie. Sie haben Wut und Spirit der frühen Jahre kultiviert und zu einer gut eineinhalbstündigen Rockshow komprimiert, die atemlos macht.

Nun mal ganz aus der Nähe betrachtet sehen die Jungs frisch und erholt aus. Sie haben Spaß, trinken Bloody Marys, geben ihre Deutschkenntnisse zum Besten und lassen die aktuelle Single „You’re my Waterloo“ für ein paar Sekunden komplett durch das textsichere Publikum singen. Auch der große David Bowie wird mit einer kurzen „Heroes“-Einlage durch die Band gewürdigt. Auch an diesem Abend läuft nicht alles perfekt. Da wird mal hier und da ein Einsatz versiebt, beim Tempo geschludert, sie brauchen lange Pausen mit Saitengeniedel und Rückkopplungen, bevor sie vom einen zum anderen Song finden. Schert die Jungs eher einen Dreck. Und genau dieses nicht Perfekte macht sie eben auch seit jeher aus, die Auftritte der Libertines. Hier wird Imperfektion geradezu zelebriert. Auch Berlin wird mit „Don’t look back into the sun“ verabschiedet. Pete kickt nochmal einen Mikroständer um, die Libertines-Fahne wird geschwungen und überhaupt wird nochmal die Sau rausgelassen. Richtig so. Von früheren Zwistigkeiten und Komplettaussetzern keine Spur mehr. Tatsächlich ein Auftritt mit Herz und Seele.

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